Antonio Stradivari gilt neben Giuseppe Guarneri del Gesù als der bedeutendste Geigenbauer der Geschichte. Er wurde um 1644 in Cremona (Italien) geboren und starb mit 93 Jahren. Von seinen 1200 Violinen sind heute noch rund 650 erhalten. Sie werden unermüdlich kopiert, und viele zeitgenössische Geigenbauer lassen sich von seiner Arbeit inspirieren. Die meisten Stradivari-Violinen haben neben dem unverwechselbaren Aussehen einen geschmeidigen, strahlenden und ausgeglichenen Klang mit einer beeindruckenden Projektion. Diese Qualitäten sind Gold wert, wenn man als Solist das Publikum bis zur letzten Reihe eines großen Saals erreichen muss.
Als Geigerin werde ich oft gefragt, was das Geheimnis von Stradivaris Klang ist. Es gibt dazu viele Vermutungen: eine spezielle Lack-Mischung, die Wahl des Holzes, die Öle und Harze, die besonderen Pigmente uvm. Meine persönliche Antwort ist dennoch einfach: Wenn man es genau wüsste, gäbe es kein Geheimnis mehr. Genau wie niemand bisher das Mysterium der Musik und ihrer Wirkung entschlüsseln konnte. Stradivaris berühmteste Violine trägt den wunderschönen Namen „Messias“. Ihre Schönheit ist betörend, und eine der Aussagen über ihren Klang war: „Als würde man die Engel singen hören“.
Die Violine wurde im Jahre 1716 gebaut, doch sie wirkt, als hätte sie Stradivaris Werkstatt gerade erst verlassen. Sie hat keine Schäden oder Risse, der Lack ist vollkommen intakt. Das Instrument wurde so gut wie nie gespielt – nur wenige Geiger durften es in der Vergangenheit kurz ausprobieren – und gilt auch heute noch als „unberührt“. Aus unbekannten Gründen entschied sich Antonio Stradivari, die Violine als einziges von seinen Instrumenten nicht zu verkaufen. Auch Stradivaris Söhne Francesco und Omobono behielten die Violine, solange sie lebten. Erst 1775 wurde sie von Stradivaris jüngstem Sohn Paolo an den Kunstsammler Graf Cozio di Salabue verkauft. Als die Violine im Jahre 1827 in die Hände des italienischen Instrumentenhändlers Luigi Tarisio kam, reiste er quer durch Europa und prahlte dabei mit einer „fantastischen und unvergleichbaren“ Stradivari-Geige in seinem Besitz. Obwohl viele die Geige gern gesehen hätten, hat er sie zwanzig
Jahre lang niemandem gezeigt. So sagte eines Tages der französische Violinvirtuose Delphin Alard zu Tarisio: „Ihre Violine ist wie der Messias. Alle warten auf ihn, aber er erscheint nie.“ Daher der Name. Nach Tarisios Tod 1855 eilte der französische Geigenbauer Jean Baptiste Vuillaume nach Mailand, um die „Messias“ zu suchen und nach Paris zu bringen. Tatsächlich fand er die Violine auf einem Dachboden versteckt. Als ein genialer Kopist und Verehrer Stradivaris baute Vuillaume etwa 25 Kopien der Violine. Auch Vuillaume konnte sich zu Lebzeiten nicht von der „Messias“ trennen und nannte die Geige „Das Wunder der Wunder“.
Im Jahre 1939 erwarben die Gebrüder Hill aus London die „Messias“ und stellten sie dem Ashmolean Museum in Oxford als Dauerleihgabe zur Verfügung. Unter der strengen Bedingung, dass sie auch weiterhin nicht gespielt werden darf. Der „Messias“-Mythos geriet im Jahr 1998 ins Wanken, als ein amerikanischer Experte das Instrument auf Herkunft, Ursprung, Handwerk und Dokumentation prüfte. Das Unerwartete geschah: Ein dendrochronologischer Test zeigte, dass beispielsweise das Holz erst nach Stradivaris Tod gefällt wurde und die Geige somit überhaupt kein Werk des Meisters sein kann. Diese und weitere Entdeckungen waren eine internationale Sensation und haben einen Skandal ausgelöst. Infolgedessen wurde der Experte von den Museumsbe-hörden gezwungen, sein Urteil über die Violine zurückzuziehen. Weitere Arbeiten an dem Instrument wurden untersagt.
Seitdem ist die „Messias“ in Oxford für niemanden mehr zugänglich. Obwohl ein späterer Test die Violine als authentisch bestätigte, ist es schwer, die Zweifel völlig beiseitezuschieben. Denn dabei steht einiges auf dem Spiel: Ist es eine „Stradivarius“, ist die Violine ein Schatz von unschätzbarem Wert. Handelt es sich um eine Fälschung, sieht der Fall ganz anders aus. Und falls die Violine im Ashmolean Museum tatsächlich eine Fälschung sein sollte, stellt sich außerdem die Frage: Wo befindet sich die echte „Messias“?