Die Umweltproblematik des Amazonas-Regenwalds liegt mir schon seit Langem am Herzen. Auch aus großer räumlicher Distanz tut die Gewissheit weh, dass riesige Flächen der „grünen Lunge der Welt“ mit erschreckender Geschwindigkeit verschwinden. Die Folgen für die Umwelt und viele Spezies sind dramatisch.
Als Geigerin habe ich zum brasilianischen Regenwald zusätzlich einen persönlichen Bezug: nämlich durch die Bögen, die mich täglich beim Üben, Proben und natürlich auch bei Konzerten überallhin begleiten und die aus brasilianischem Holz bestehen.
Oft werde ich auf Reisen gefragt, welches Instrument ich spiele, von wem, wo und in welchem Jahr es gebaut wurde. Dagegen sind die Fragen nach dem Bogen eher selten, und wenn, dann kommen sie meist von Kollegen.
Dabei spielt neben der Violine auch der passende Bogen eine große Rolle, beim Klang und Timbre des Instruments. Seit rund 200 Jahren werden Bögen für Streichinstrumente aus Fernambuk gefertigt, und nach wie vor gilt dieses Holz als unbestrittenes Nonplusultra im internationalen Bogenbau-Handwerk. Das Holz ist, wie der Bogenbauer Pietro Bonolis bestätigen würde, abgesehen von dessen Schönheit biegsam und elastisch, und genau so soll es sein, um den nötigen Druck vom Arm auszuhalten.
Fernambuk-Bäume (Paubrasilia echinata) wachsen ausschließlich in Brasilien. Wie Alberto seinem Vater Dionisio Di Bernardo klarzumachen versucht und wie es leider der Realität entspricht, wurden in den letzten hundert Jahren bereits drei Viertel der Bestände abgeholzt, und die Zerstörung nimmt kein Ende. Große Mengen Holz werden auf illegale Weise geschlagen und von der organisierten Kriminalität gehandelt.
Im Gespräch mit einem Freund entstand die Idee, die sogenannte Holzmafia in einem Kriminalroman zu thematisieren und eine Verbindung zur Geigen- und Bogenbau-Branche zu schaffen. Immerhin hat Commissario Di Bernardo mit seinem Team bereits in dem verzwickten Fall um die Stradivarius-Violine „Messias“ sowie in einem Pianisten-Kriminalfall ermittelt!
Wie im vorliegenden Buch erwähnt, muss man gar nicht bis nach Brasilien reisen, um das Ausmaß der Abholzung wahrzunehmen. Auch in europäischen Ländern wird der Urwald vernichtet, wie verschiedene Medien aktuell berichten. Meine Wahl fiel auf Rumänien, wo sich die größten Waldflächen Europa befinden, Skandinavien ausgenommen. Dort werden unter anderem Unmengen von typischen „Geigenhölzern“ wie Fichten und Ahorn auf kriminelle Weise gefällt, doch nur ein kleiner Teil davon wird für den Instrumentenbau verbraucht. Und da Fernambuk, unser „Bogenholz“, nicht in Rumänien wächst, war es eine Herausforderung, die Brücke von Brasilien nach Rumänien zu schlagen, um den Konflikt den Leserinnen und Lesern buchstäblich näherzubringen.
Teile dieser Geschichte basieren auf wahren Begebenheiten. Dabei gab es auch kuriose Zufälle gegeben. Ausgerechnet in den Monaten, als Di Bernardo entstand, waren die Augen internationaler Musikerinnen und Musiker auf Brasilien und das Washingtoner Artenschutzübereinkommen gerichtet: Die Entscheidung stand im Raum, das bedrohte Fernambukholz auf einen strengeren Artenschutzindex zu setzen. Schwer zu sagen, was diese Entscheidung für die Musikschaffenden bedeutet hätte. Am Ende kam es jedoch nur zu einer geringen Verschärfung des Fernambukhandels, die kaum Auswirkungen auf die Musikwelt haben.
Das Fernambuk-Dilemma bleibt also weiterhin ungelöst. Macht also die drastische Aussage von Alberto bezüglich der „umweltschädlichen Geigen“ Sinn? Wer Alberto kennt, weiß, dass er recht impulsiv und spontan sein kann und Dinge auch mal voreilig oder pauschal beurteilt. Aber letztlich haben seine Gedanken oft einen wahren Kern. Auch in diesem Fall: Denn für den Bau von Geigen und anderen Streichinstrumenten werden kostbare und vom Aussterben bedrohte Tropenhölzer verwendet, wie Ebenholz.
Stellt man sich nun auf die Seite der Tradition oder die des Naturschutzes? Ist der strengere Artenschutz wichtiger, auch wenn Tropenhölzer beim Instrumentenbau in der Branche als unersetzlich eingeschätzt werden? Und was ist mit umweltfreundlichen Alternativen, wie zum Beispiel dem Carbonbogen, mit dem Geigerin Elisa in diesem Roman spielt?
Die Entscheidung muss jeder für sich selbst treffen. In meinem eigenen Geigenkasten befinden sich die brasilianischen Fernambuk-Meisterbögen (angefertigt von der Firma L’Archet Brasil, für die ich gemeinsam mit dem Violinsolisten Manrico Padovani als Testimonial agiere), und ich kann mit aller Sicherheit sagen, dass das Holz allen Anforderungen der kontrollierten Entnahme aus der Natur entspricht. Die Repräsentanten von L’Archet Brasil glauben an die Nachhaltigkeit und an ein Wirtschaftssystem, das Lebensqualität bietet und dabei die Umwelt und ihre Ressourcen erneuert. Als Folge dessen wurden auf Initiative und in Zusammenarbeit mit diversen Bogenbauern Tausende von Fernambuk-Bäumen gepflanzt.
In diesem Sinne ist es auch mein Wunsch – und meine Hoffnung –, dass Musikinstrumente weltweit weiter erklingen werden, ohne jemals mit „Umweltschädlichkeit“ oder Ähnlichem in Verbindung gebracht zu werden.